Mein Barlavento (Kurzgeschichte)
In
meinem Herzen bewahre ich ein Schwarz-Weiß-Bild der Algarve.
Oft tauche ich es in Farben, leuchtend bunt oder gedämpft, je nachdem.
Ich schmücke das Bild mit wechselnden Geschichten, Gefühlen
und Erinnerungen aus.
Die felsige Algarve mit ihren
malerischen Buchten wird auch Barlavento genannt. "Dem Wind
zugewandt" könnte man es übersetzen. Ich mag das Wort und
die dazugehörige Einstellung. Es klingt nach Lebensmut,
nach: dennoch! In "Barlavento" kommen Melancholie und
Fernweh zum Ausdruck. "Fado" heißt die melancholische Musik
dieses Landes, die solche Stimmungen widerspiegelt.
Die vordere Hälfte meines Bildes wird vom Atlantik
eingenommen. Majestätisch rollt die Brandung an den Strand.
Das leuchtend blaue Meer wiegt sich heute in sanftem
Mittagsschlaf. Repousante, das portugiesische Wort für
„erholsam“. Heute weht kein Wind mehr über die Wellen.
Ein etwa zwanzig Meter breiter, feinkörniger Sandstrand
säumt die Küste. Viele Sonnenhungrige gönnen sich ein
unbeschwertes Badevergnügen. Die Szene ist fröhlich, ich
rieche den Sommer, ich will meine Reisetasche packen. Die
Sonne steht hoch am tiefblauen Mittagshimmel. Zu dieser Zeit
sind die Schatten sehr kurz. Grün-gelbe und rot-rot-goldene
Fischerboote ruhen am Strand. Sie sind schon von weitem am
hohen Vorbau zu erkennen.
Honigfarbene Felsen
kennzeichnen das Barlavento. Jeder Quadratmeter dieser
felsigen Bucht ist bebaut. Nur der efeubewachsene
Felsvorsprung auf der linken Bildseite lässt den Untergrund
durchscheinen. Der etwa fünfzig Meter hohe Fels gibt der
Siedlung Form und Halt. Manchmal werden diese kleinen
Buchten mit Amphitheatern verglichen. Langgestreckte
Flachbauten stapeln sich auf engstem Raum. Alle Fensteraugen
sind auf das Meer gerichtet.
Die schmucklosen, weiß
getünchten Häuser wirken funktional und streng. Alles ist
dem Zwang des knappen Baugrundes untergeordnet. Ein
befestigtes Mauerwerk aus rohen dunkelbraunen Steinblöcken
dominiert die Bildmitte. Dunkle Fensterhöhlen durchbrechen
die Festungsmauer. Um die Mauern herum wachsen die
Häuserreihen den Hang hinauf. Links vom Felsvorsprung öffnet
sich die Bucht. Das gibt Platz für moderne mehrstöckige
Gebäude mit Ferienwohnungen.
Die Algarve war schon
immer dem Wechselspiel der Gezeiten ausgesetzt. Fremde
Völker hielten das Land besetzt. Phönizier, Karthager,
Kelten, Römer, Westgoten und viele andere haben sich
gegenseitig die Macht genommen. Die Festungsmauer bezeugt
diese bewegte Vergangenheit. Die Menschen suchen immer noch
Schutz und Sicherheit in den geduckten weißen Häusern, wenn
das Meer wütet. Jetzt besetzen Touristen das Land, friedlich
und nur für ein paar Monate im Jahr. Barlavento ist in
meinem Herzen. Ich träume von südlichen Winden. Von Mittag
weht es lau.
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