Hallo Papa (Kurzgeschichte)
"Hallo, Papa", begrüßte Sabine ihren Vater mit einem warmen Lächeln und trat energisch in den Raum.
Der alte Mann drehte sich beim Klang ihrer Stimme langsam um und erwiderte das Lächeln. "Hallo, Sabine. Schön, dass du gekommen bist", sagte er freudig überrascht.
Sie ging auf ihn zu, umarmte ihn und setzte sich neben ihn auf das gemütliche Sofa.
"Wie geht es dir?", fragte sie und berührte sanft seine Schulter.
"Gut. Du weißt doch, dass jeder über fünfzig, der ohne Schmerzen aufwacht, tot ist", scherzte er und zwinkerte ihr zu.
Sie lachte auf. "Du bist fünfundsiebzig", erinnerte sie ihn.
"Sage nie so etwas! Manchmal fühle ich mich sogar wie neunzig", murmelte er.
"Aber du gehst noch spazieren?", erkundigte sie sich.
"Ja, natürlich, mein Kreislauf braucht das", erklärte er stolz. "Ich gehe jeden Tag spazieren, egal bei welchem Wetter."
Sie schauten aus dem Fenster und Sabine zeigte auf die Schneedecke draußen.
"Wie kommst du mit dem Winter zurecht?"
"Schrecklich. Minus drei Grad", antwortete er und runzelte die Stirn.
"Aber die Sonne scheint", setzte Sabine nach. "Warum hast du dann 'schrecklich' gesagt?"
"Weil es spiegelglatt ist. Meinst du, die anderen streuen so, wie sie sollten?", fragte er und machte eine gleitende Bewegung mit seinen Füßen.
"Pass auf, dass du nicht hinfällst", ermahnte ihn seine Tochter.
"Ja, ich passe auf", versicherte er ihr.
"Und was hast du heute vor?", fragte sie und legte den Kopf schief.
"Nichts weiter, nur meine Routine. Immer dasselbe", erklärte ihr Vater und zuckte mit den Schultern.
"Aber du bist gesund?", fragte sie und klopfte ihm beruhigend auf den Arm.
"Ja, zum Glück. Keine zehn Pferde können mich zum Arzt bringen", erklärte er nachdrücklich. "Außerdem bekommst du erst in Monaten einen Termin. Dann bist du wieder gesund oder tot."
"Wer hat dir das mit den Terminen gesagt?", fragte Sabine und zog eine Augenbraue hoch.
"Im Fernsehen haben sie das gesagt Es kommt jeden Abend in den Nachrichten."
"Siehst du viel fern?" wollte Sabine wissen.
"Was soll ich denn sonst machen?", antwortete er. "Aber es gibt nur Wiederholungen oder Quizsendungen oder Fußball."
"Triffst du dich manchmal mit jemandem?" wollte Sabine wissen.
"Wozu? Ich kenne doch niemanden mehr", erklärte er resigniert. "Alle reden sowieso nur noch über Krankheiten."
"Papa, du kannst nicht ewig um Mama trauern", sagte sie einfühlsam und nahm ihn in den Arm. "Du musst wieder unter Menschen sein."
"Und wie soll das gehen? Ich kenne nicht einmal die Namen der Leute im Haus. Viele von ihnen haben komische Namen", seufzte er und zuckte mit den Schultern.
"Du wolltest doch zum Seniorentreffen gehen", erinnerte ihn Sabine.
"Du wolltest, dass ich hingehe", gab er zögernd zu.
"Und, bist du hingegangen?"
"Was soll ich denn da? Alten Leuten beim Jammern zuhören?", antwortete er achselzuckend. "Außerdem kann ich nichts verstehen, wenn sie alle gleichzeitig reden."
"Du wolltest doch einen Hörtest machen."
"Ich brauche keinen Test und auch keine Dinger in meinen Ohren. Sie pfeifen und fallen ständig heraus."
"Papa, ich bin in Eile und habe viel zu tun. Wir sehen uns wieder", sagte Sabine, die schon an der Tür stand und zum Abschied winkte.
"Ja, Sabine, mach das!", antwortete er und winkte zurück. "Wie geht es dir eigentlich?"
Doch seine Tochter hatte die Tür bereits hinter sich geschlossen.
Hans entschuldigte sich bei Renate für die Verspätung, als er etwas außer Atem in ihrem Café eintraf.
"Ich musste noch kurz mit meiner Tochter reden", erklärte er und zog sich einen Stuhl heran.
"Das macht doch nichts. Ist alles in Ordnung mit ihr?", fragte Renate.
"Ja, sie hat viel mit ihrer eigenen Familie zu tun. Sie ist immer in Eile."
"Hast du ihr von deinen neuen Ohrstöpseln erzählt und wie gut sie passen und funktionieren?"
"Nein, das habe ich ganz vergessen. Das mache ich beim nächsten Mal."
"Aber du musst zugeben, der Tipp mit dem Seniorentreffen war gut", lächelte sie. "Wie hätten wir uns sonst kennengelernt?"
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