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Hallo Oma (Kurzgeschichte)

Harald Renner


"Hallo Oma, ich wollte mich mal wieder melden. Wie geht es dir?"

"So wie immer. Und dir, Grete?"

"Gut."

"Was heisst: gut? Du klingst so komisch."

"Nicht wirklich gut. Eigentlich ist bei mir der Teufel los."

"Dachte ich mir. Erzähl mal drauf los!"

Und so sprach sich Grete Hansen ihren ganzen Kummer von der Seele. Schließlich versuchte sie gar nicht mehr, ihre Tränen zu unterdrücken.

Manchmal musste sie etwas weiter ausholen, damit ihre Oma sie besser verstand. Seit Grete vier Jahr alt war, nach dem Unfall ihrer Eltern, waren ihre Großeltern Halt, Zuflucht und Trost für sie geworden. Ihr Großvater hatte vor zehn Jahren den Kampf gegen seinen Lungenkrebs verloren. Danach waren nur noch ihre Oma und sie ihre Familie.

"Gestern war Inke da", sagte Grete.

"Ist sie noch immer deine beste Freundin?"

"Ja, und leider meine einzige. Sie hat mir von Klaus erzählt. Er ist plötzlich in ihrem Fitnesstudio aufgetaucht."

"Was wollte er da?"

"Vermutlich wollte er wissen, ob ich ihm verziehen habe."

"Hast du?"

"Nein, natürlich nicht! So etwas kann man nicht verzeihen."

"Auch nicht nach fünf Jahren?"

"Auch nicht nach hundert Jahren. Er hat sich davon gemacht. Wir haben so lange gut zusammen gelebt, als wären wir verheiratet. Und dann sagt er mir beim Frühstück, ohne jede Vorwarnung, dass er sich neu verliebt hätte und dass es für ihn wie eine magische Fügung wäre, irgend so ein billiger Mist."

"Wie hast du darauf reagiert?"

"Das willst du bestimmt nicht wissen. So etwas wie: Hau ab, auf der Stelle, und lass dich nie wieder bei mir blicken! Das Porzellan ist heil geblieben, das brauchte ich noch."

"Und jetzt? Lebt er noch mit dieser anderen Frau zusammen?"

"Inke meinte, er wäre schon seit langem Single. Er hätte sich nach mir erkundigt und gesagt, wie sehr er alles bereute. Jederzeit würde er mir helfen, wenn ich in Schwierigkeiten stecke. Ohne eine Gegenleistung zu erwarten."

"Das klingt doch gut, oder?"

"Du kennst Klaus nicht. Der sagt so etwas immer mit einem Hintergedanken. Und jetzt glaubt er wohl, er könnte mich zurück kaufen, einfach ein Bündel Geldscheine auf den Küchentisch geknallt, und wir machen weiter, wo wir vor Jahren aufgehört haben."

"Hat er gesagt, dass er das will?"

"Nicht so direkt, aber Inke hatte das Gefühl, dass er mich immer noch liebt."

"Ist das wichtig für dich?"

"Um Himmels willen, nein! Als er noch mit der Tussi zusammen lebte, war das gar kein Thema für ihn. Und jetzt erinnert er sich auf einmal an mich und macht auf große Liebe. Das kotzt mich an."

"Ich fand Klaus eigentlich ganz nett," sage Oma. "Er hat mich immer zum Lachen gebracht."

"Mich auch, aber das ist ewig lange her. Mit Klaus bin ich durch. Er ist der letzte Mensch auf diesem Planeten, den ich um Hilfe in der Not bitten würde."

"Das verstehe ich. Für die Hilfe in der Not hast du ja immer noch mich, mein Kind. Und deinen Beruf."

"Das wollte ich dir gerade erzählen. Ich bin pleite."

"Das kann gar nicht sein, du bist doch jung, klug und erfolgreich. Erzähl mal, wieso bist du pleite?"

"Also, ich bin jung, das ist richtig. Und das ist mein Nachteil in diesem Geschäft. Ich bin Webdesignerin, so etwas wie eine Grafikerin, die im Internet arbeitet. Das weißt du noch?"

"Ja, das habe ich mir gemerkt. Und jetzt hast du Probleme?"

"Mein Problem ist tatsächlich mein Alter. Ich bin neu im Beruf und komme nur an Aufträge heran, wenn ein Kunde es besonders billig haben will. Und so werde ich regelmäßig ausgenutzt und komme immer weniger mit meinem Geld zurecht."

Oma wollte wissen, ob dass allen so ginge in ihrem Beruf.

"Ja, das Problem haben alle, die anfangen. Der Markt ist heiss umkämpft. Wer schon länger dabei ist, ist gut vernetzt und will sein Kuchenstück mit niemandem teilen. Es dauert Jahre, bis man sich ein eigenes Netz aufgebaut hat. Diese Zeit habe ich nicht mehr. Heute habe ich meinen letzten Kunden verloren. Er sagt, ich arbeite zu langsam. Ich bin am Ende, aus und vorbei."

"Sag sowas nie, mein Kind. Du hast doch das schöne Haus, das ich dir vererbt habe. Außerdem habe ich zur Sicherheit Aktien für dich gekauft, die sind jetzt viel mehr wert als damals. Ich kann sie jederzeit einlösen für dich."

"Lass nur, Oma, das ist lieb von dir, aber du hast schon genug für mich getan. Ich war heute bei meiner Bank, wegen eines Kredits."

"Warum machst du denn so etwas? Bei mir kriegst du doch alles ohne Zinsen und brauchst es nicht einmal zurück zu zahlen. Ich verstehe nicht, warum du zur Bank gegangen bist."

"Ist auch nicht mehr wichtig, die haben den Kredit verweigert und akzeptieren das Haus nicht als Sicherheit."

"Wie denn das? So ein mit Reet gedecktes Haus ist doch ein Juwel. Auch wenn es etwas in die Jahre gekommen ist."

"Etwas sehr in die Jahre gekommen. Dieser Bankberater hat sogar von einer Bruchbude gesprochen. Er hat mir einen langen Vortrag gehalten. Über Denkmalschutz, komplexe Materialstrukturen, teure Bauunternehmen, aufwändige Materialbeschaffung. Ich habe gar nicht mehr zugehört. Am Ende hat er traurig den Kopf geschüttelt."

"Schlimm. Aber mach dir keine Sorgen, mein Kind. Es ist spät geworden. Jetzt schlaf erst mal, und morgen verkaufen wir meine Aktien. Du wirst staunen, dass da am Ende sogar noch eine Menge übrig bleibt."

"Danke, Oma, du bist lieb"

"Du auch, mein Schatz. Gute Nacht!"

Als Grete allein zurück blieb in ihrem Schlafzimmer, warf sie sich auf das Bett. Sie schrie sich ihren Schmerz, ihre Einsamkeit und ihre tiefe Verzweiflung aus der Seele. Sie hatte jede Hoffnung verloren.

Am nächsten Morgen rief sie Klaus an. Er hatte noch die Nummer, die sie kannte, und wenigstens seine Stimme war nicht älter geworden.

Er schien sich über den Anruf zu freuen und machte den Vorschlag, miteinander Kaffee zu trinken, irgendwo in der Stadt, am besten gleich heute Nachmittag.

Ohne Nachdenken willigte sie ein. Sie musste verrückt sein.

Klaus wollte noch etwas los werden.

"Es macht mir nichts aus, dass ich seit fünf Jahren das Grab deiner Großeltern verwalte. Aber du hast doch deine Oma sehr gemocht. Warum besuchst du sie nicht einfach mal?"

"Ich hasse Gräber und behalte Oma lieber so in Erinnerung, wie ich sie kannte. Seit fünf Jahren unterhalte ich mich mit einem Geist und bekomme immer Antworten auf meine Fragen."

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