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Die Wellen und das Meer (Kurzgeschichte)

Brigitte Neumann


Tschschschuuugggg, tschschuugg. Träge plätschern kleine Wellen an den Strand. Flirrend steht die Mittagshitze über dem Land und macht auch die Menschen träge. Hier vor den alten Fischerbooten haben sich nur wenige niedergelassen. Sie dösen in der heißen Sonne oder blicken auf das weite Meer. Kein Sonnenschirm bietet Schutz vor der Hitze. Der Sand kriecht in alle Poren. Auch der alte Fischer sitzt im blanken Sand, weiter hinten. Niemand beachtet ihn.

Sein krummer Rücken lehnt an einem der verwitterten Boote. Ein verschlissener Hut mit breiter Krempe schützt ihn vor der prallen Sonne. Die Beine hat er angewinkelt aufgestellt und malt mit dem großen Zeh kleine Kreise in den warmen Sand. Bis vor kurzem zog er jede Nacht zum Fischen hinaus aufs weite Meer. Er kennt die besten Fangstellen. Sein Vater hatte sie ihm gezeigt und der wiederum kannte sie von seinem Vater. Sein ganzes Leben kreiste stets um das Meer, den Wind, die Wellen und die Fische. Er richtet sich ein wenig auf, lässt seine Blicke schweifen, malt mit den knorrigen Fingern eckige Formen in den Sand und verwischt sie wieder. Sein Sohn ist kein Fischer. Schon als Kind half er lieber der Mutter in der kleinen Kneipe im Ort, dort hinten, auf dem zerklüfteten, roten Sandfelsengestein.

Albufeira, die einst kleine Stadt in der Felsalgarve wächst und wächst. Seit Jahren schießen sechs- bis achtstöckige Betonburgen aus dem Boden, eine nach der anderen. Einfach, schlicht, weiß, funktional und nüchtern rahmen sie den alten Stadtkern ein. Sie sind Schlafstätten für die sonnenhungrigen Gäste, die das Leben der Stadt und der Menschen nachhaltig verändert haben. Jeden Sommer kommen mehr Menschen.

Die kleine Kneipe ist inzwischen ein gut gehendes Straßenlokal mitten in der Altstadt und die Cataplana auf der Speisekarte längst ein bekannter Geheimtipp. Nach uraltem Familienrezept wird dieses Eintopfgericht zubereitet, mit viel Zwiebeln, sonnengereiften Tomaten, einigen Kartoffeln, deftigen Wurststücken und frischem Fisch, manchmal auch mit ein paar Krustentieren. Man trägt es in der noch geschlossenen Kupferpfanne auf und öffnet erst bei Tisch den Deckel. Der würzig-fischige Duft entfacht alle Sinne für die herzhafte Mahlzeit.

Ein junger Mann kommt mit einer solchen Kupferpfanne auf den alten Fischer zu. Zwei Löffel stecken in der Brusttasche seines bunten Hemdes. Sein dunkler Teint, die lebhaften Augen und das Grübchen am Kinn verraten die Verwandtschaft zu dem alten Fischer. „Großvater, ich komme und hab’ etwas zum Essen dabei“, ruft er, sobald er sich in Hörweite wähnt. Der Alte steht auf und winkt ihm freundlich zu. Er breitet ein Tuch im Sand aus. Der Junge stellt den Topf darauf. „Komm setzt Dich her, mein Junge“, lädt der Fischer ihn ein. Beide lassen sich nieder und halten einen Moment inne, bevor der Alte den Deckel lüftet. Ihr köstlicher Duft steigt auf. Gemeinsam löffeln sie die Cataplana. „Fahren wir heute Nacht noch mal raus?“, fragt der Junge. Der Alte nickt. Schweigend sitzen sie beim Essen und blicken hinaus auf das Meer. Tschschschuuugggg, tschschuugg plätschern die Wellen in den Sand. Lockend ruft die endlose Weite des tiefblauen Meeres wie seit ewigen Zeiten.

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